Wirtschaftlicher Ausblick

Zu Jahresbeginn und vor den Entwicklungen in der Ukraine, auf die insbesondere am Ende dieses Kapitels eingegangen wird, standen in der Eurozone die Pandemie und in diesem Zusammenhang Eindämmungsmaßnahmen im Fokus, worunter nicht nur der private Konsum, sondern auch die Investitionsbereitschaft weiterhin kurzfristig leiden könnten. Die nachfolgenden Erwartungen vom Jänner 2022 sind noch ohne potenzielle Ukraine-Effekte und ließen trotz noch fragiler und sichtlich beeinträchtigter Lieferketten sowie der Situation an den Energiemärkten auf Normalisierung hoffen. Daher war insgesamt – trotz kurzfristiger Beeinträchtigungen – mit einer Fortsetzung der wirtschaftlichen Erholung im Jahr 2022 gerechnet worden. Die Analysten der Erste Group sahen daher 2022 ein BIP-Wachstum von 4,4 % für die Eurozone. Die weitere pandemische Entwicklung sowie die Situation in der Ukraine bleiben dabei mit all ihren möglichen Auswirkungen das größte Risiko.

Auch wenn Inflationsraten 2021 kurzfristig stärker als erwartet gestiegen sind und dies auch noch Anfang des Jahres 2022 erwartet wird, sollte die Teuerungsrate, durch einsetzende Basiseffekte und nachlassenden Druck bei Energiepreisen, mittelfristig wieder sinken. Für die mittelfristige Inflationsentwicklung wird die Verfassung an den Arbeitsmärkten und der damit verbundene Lohndruck entscheidend sein.

Österreichs Aussichten für 2022 sind von durchaus konträren Faktoren geprägt. Einerseits dürfte eine steigende Immunisierung der Bevölkerung gegen COVID-19, der starke private Konsum und eine angekündigte Steuerreform den Weg für eine solide Erholung ebnen. Ab Mitte 2022 sollte die Steuerreform den Konsum der Haushalte sowie Investitionen der Unternehmen begünstigen, während Zuschüsse aus dem EU-Wiederaufbaufonds öffentliche Investitionen unterstützen dürften. Andererseits ergeben sich aus der Infektionsdynamik, den möglichen Reisewarnungen und -beschränkungen, dem Arbeitskräftemangel sowie den weiterhin bestehenden Lieferengpässen Abwärtsrisiken für die Wirtschaftstätigkeit. Vor diesem Hintergrund erwartet die Erste Group im Jahr 2022 ein durchschnittliches Wachstum von 3,5 % für die österreichische Wirtschaft.

In CEE sollte der weiterhin robuste Arbeitsmarkt sowie ein allmählicher Abbau des Nachholbedarfs eine weitere Erholung maßgeblich unterstützen. Reguläre EU-Mittel, insbesondere aber auch der Wiederaufbaufonds, sollten sich in den Investitionen bemerkbar machen (mit einem gewissen politischen Risiko des Nichterhalts dieser Mittel für Polen und Ungarn). Auch hier bestehen zusätzlich zur Situation in der Ukraine noch Risiken im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und Engpässen in der Lieferkette. Je mehr etwaige Einschränkungen aufgehoben bzw. Abwärtsrisiken ihre Wirkung verlieren, desto eher wird die Region wieder das volle Potential ihrer Leistungsfähigkeit erreichen. Die derzeit noch schwer einschätzbaren Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine werden in jedem Fall negativ auf den Wachstumsausblick in der Region wirken. Damit wird für 2022 nur noch mit einem regionalen BIP-Wachstum von 3,0 % gerechnet. Der Preisdruck, resultierend aus Basiseffekten und insbesondere aus Energiepreisen, sollte auch im Jahr 2022 sichtbar bleiben. Zumindest die erste Jahreshälfte 2022 wird voraussichtlich von einer robusten Teuerungsrate geprägt sein. Mit einem Auslaufen der intermediären Einflüsse sollte die Inflation im Verlauf des Jahres zwar sinken, aber – auch geprägt durch einen relativ starken Einfluss des Arbeitsmarktes – dennoch höher als vor der Pandemie sein. Insofern gehen die Analysten der Erste Group von wiederum 9,7 % für das Jahr 2022 aus, bevor es 2023 zu einer merklichen Entspannung des Preisniveaus kommen sollte.

Der russische Angriff auf die Ukraine Ende Februar 2022 geht mit einer Zunahme an Unsicherheiten für die generelle volkswirtschaftliche Entwicklung und damit auch für die CEE-Region und Österreich einher. Die Konsequenzen sind zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses nicht abschätzbar. Die wirtschaftlichen Verflechtungen über einen Handel mit Russland sind eher überschaubar, nachdem sich Russland nicht unter den Top Ten der Export-Destinationen für CEE befindet. Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen jedweder Sanktionen gegen Russland sollten einen eher überschaubaren Einfluss auf die regionalen Volkswirtschaften haben. Dennoch könnte eine zunehmende allgemeine Unsicherheit einer weiteren Erholung von der Pandemie in der Region im Wege stehen. Insbesondere weiter steigende Energiepreise – auch vor dem Hintergrund, dass die Region einen Großteil ihrer Gasimporte aus Russland bezieht – wie auch steigende Preise für andere Rohstoffe, für die Russland ein wesentlicher Exporteur ist, könnten die Teuerungsration in Österreich und der CEE-Region noch weiter antreiben. Inwieweit weiter steigende Energiekosten (oder auch reduzierte Verfügbarkeit) zu Produktionsengpässen in einzelnen Industrien führen kann, bleibt abzuwarten. Renditen für regionale Anleihen werden vermutlich in der Folge mit Risikoaufschlägen versehen sein, nachdem der Konflikt in solch räumlicher Nähe stattfindet. Für die Europäische Zentralbank (EZB) ergibt sich ein weiterer, nicht unwesentlicher Punkt für die Frage, wie sie ihre Geldpolitik weiter gestalten wird.